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Neues Entdecken beim opernkompass

Einmal fühlen wie ein echter Tänzer - der Dance Captain zeigt, wie es geht\\Photography Jan Windszus

Für 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Studienkompass ging jetzt an der Komischen Oper Berlin ein ganz besonderer Vorhang auf: Ein Wochenende lang h
atten sie die Chance, den Opernbetrieb zu erkunden. Geleitet wurde der Workshop von Anisha Bondy, Regisseurin und Alumna der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung. Neben Führungen durch die Abteilungen wie der Maske, dem Fundus und der Tontechnik konnten auch viele Gespräche mit den Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Berufsgruppen geführt werden. Der Workshop opernKOMPASS wurde von Studienkompass-Initiativpartner Deutsche Bank Stiftung 2015 speziell für opern- oder kulturinteressierte Teilnehmende des Förderprogramms konzipiert und wird seither regelmäßig durchgeführt.

Wo Berufe Berufungen sind - Ein Bericht von unserer Teilnehmerin Sophia Schröder

Als wir Freitagnachmittag nach und nach in unserem Hotel direkt am Berliner Hauptbahnhof ankamen, war uns 20 opernKOMPASS-TeilnehmerInnen nur ansatzweise bewusst, wie intensiv die nächsten 48 Stunden werden würden. Ahnungslos ging es also nach dem Check-in und dem gegenseitigen Vorstellen mit der U-Bahn bis zum Brandenburger Tor, von welchem aus wir in wenigen Gehminuten unser Ziel erreichten: die Komische Oper Berlin, der perfekte Ort für den opernKOMPASS. In der Komischen Oper empfing uns Anisha Bondy, Alumna der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung, die dort seit zehn Jahren als Regieassistentin und Spielleiterin tätig ist.  Anisha war das gesamte Wochenende über unser „Kompass“ – ohne sie hätten wir uns in den zahlreichen Gängen der Oper niemals zurechtgefunden und nicht einmal halb so viel gelernt. Auch Anisha wollte uns kennenlernen und so stellten wir fest, dass wir alle einen persönlichen Berührungspunkt mit dem Thema „Oper“ haben und uns aus verschiedensten Gründen für den Workshop bewarben.

Sabine Selzer, Kostümbild-Assistentin, führte uns anschließend durch das Haus, wobei wir viele Details zur über 70-jährigen Geschichte der Oper erfuhren. Sie erzählte uns von Walter Felsenstein, dem Gründervater der Komischen Oper Berlin, der diese 1947 eröffnete. Sein Anliegen war es, Musiktheater für das Volk zu machen. „Komisch“ kommt vom französischen „comique“ und ist darauf zurück zu führen, dass das gemeine Volk damals nur Komödien, aber keine Tragödien sehen durfte. Das Ziel von Walter Felsenstein, volksnahes Musiktheater zu erschaffen, wird bis heute in der Komischen Oper Berlin ganz großgeschrieben. Vor dem Wiederaufbau 1946 wurde das Haus im zweiten Weltkrieg zu Großteilen zerstört. Der Zuschauerraum aber blieb erhalten und  weist heute neben 1300 Plätzen noch viele originale Elemente von 1892 auf. Wir staunten über den riesigen Kronleuchter an der Decke, der laut Sabine so viel wiege wie ein PKW. Während wir saßen, konnten wir auch den Aufbau eines Bühnenbildes beobachten.
Warmmachen vor dem großen Auftritt - Sophia und die anderen Teilnehmenden bereiten sich vor
U
nser Rundgang endete in der Kostümabteilung, wo wir lernten, wie der Weg vom Entwurf des Kostümbildners zu einem fertigen, vollständigen Kostüm aussieht. Wir schauten uns auch den Spritzraum an, wo neue Kostüme mithilfe verschiedener Techniken auf alt getrimmt werden, um zur Situation der Inszenierung zu passen. Abschließend wurden wir zu unserer großen Freude noch in den großen Kostümfundus geführt. Es war ein wirkliches Fest – ein Fest aus knalligen Farben, ganz viel Tüll, klingelnden und schimmernden Kleidern, riesigen Helmen und ausladenden Röcken. Nach dem Abendessen konnten wir einigen Maskenbildnerinnen beim Schminken der SängerInnen und DarstellerInnen für die abendliche Aufführung über die Schulter schauen. Beeindruckend waren für uns dabei auch die Perücken, die alle in der Komischen Oper selbst gefertigt werden. Von Tobias Barthel, dem Chefmaskenbildner, erfuhren wir, dass die erforderlichen Frisuren meistens zwar mit Eigenhaar gezaubert werden könnten, allerdings strapaziere das auf Dauer die Haare zu sehr, weshalb eine Perücke besser und auch zeitlich praktischer sei. Das klang einleuchtend.

Am Ende des Tages trafen wir Arnulf Ballhorn, der seit 17 Jahren als Kontrabassist an der Komischen Oper Berlin arbeitet und uns von seinem Arbeitsalltag berichtete. „Es ist kein Beruf, sondern eine Berufung.“  meinte er zu uns. Als kleinen Abschied spielte er uns anschließend noch ein paar Melodien auf seinem Kontrabass vor, darunter auch einige aus „Anatevka“, dem Musical, welches wir am darauffolgenden Abend anschauen würden. Zum Schluss hörten wir noch von dem interkulturellen Projekt „Selam Opera!“ – an das Türkische angelehnt bedeutet der Name „Hallo Oper!“. Die Komische Oper Berlin möchte sich damit für die türkische Community öffnen.  Anisha erzählte uns vom „Operndolmuş“ – dem Bus der Oper – mit dem in Kleinstbesetzung die Oper in kulturell besonders vielfältige Berliner Stadtteile mitgenommen wird und die „Pop-up-Operas“ an belebten Orten und von einer 3000 km langen Reise entlang der ehemaligen Gastarbeiterroute mit Musiktheater und Dolmuş. Wir waren alle begeistert und gingen an diesem Abend voller Spannung auf den nächsten Tag ins Bett.

„Was macht eigentlich ein Dramaturg?“ Diese Frage beantwortete uns Simon Berger, Dramaturg an der Komischen Oper Berlin, am Samstagmorgen. Er erzählte uns, wie er an der Entwicklung von Spielvorlagen beteiligt ist und wie viel Hintergrundwissen er sich zu den jeweiligen Opern erarbeiten muss, damit das Ganze in Text, Musik und Darstellung der Vorlage entsprechend bühnentauglich wird. Ein Dramaturg hat vielfältige Aufgaben, denn er erstellt außerdem den Spielplan, kümmert sich um die Präsentation nach außen und steht in starkem Dialog mit allen Beteiligten, vor allem zu Barrie Kosky, dem Intendanten und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, der auch „Anatevka“ inszeniert hat. „Anatevka“ ist ein Musical und die Inszenierung zum 70. Geburtstag der Komischen Oper Berlin. Das Stück handelt von Tevje, einem Milchmann, der mit Frau und Töchtern in dem kleinen jüdischen Schtetl „Anatevka“ lebt. Seine drei ältesten Töchter sollen heiraten, nur nicht diejenigen, welche sie sich selbst heraussuchen. Neben und in diesen Konflikten geht es um Tradition, Glauben und Heimat. 

Den restlichen Vormittag bereiteten wir uns dann stimmlich und bewegungstechnisch gemeinsam mit dem Dance Captain der Oper, Silvano Maraffa und Frank Schulte, der als Studienleiter, Pianist und Solorepetitor die rechte Hand des Dirigenten ist, auf den Abend vor. Wir bekamen Notenblätter zu „Tradition“, in welchem es, wie sollte es anders sein, um die Tradition im Dörfchen Anatevka geht. Was machen traditionellerweise die Papas, die Mamas, die Söhne und die Töchter? Während des Singens in verschiedenen Gruppen bekamen wir darauf die Antworten. Aber damit war noch nichts getan. In der jüdischen Kultur wird vor allem eins: getanzt! Und so versuchten wir gleichzeitig den richtigen Text zu singen und ganz heiter und tanzend die Botschaft des Liedes zu vermitteln. Das war ein Spaß! Der zweite Tanz, aber diesmal ohne Singen, den uns Silvano zeigte, war ein Stuhl-Tanz. Nein - wir mussten nicht um den Stuhl herumtanzen, sondern den Stuhl vor allem hochheben. Dadurch konnten wir zumindest ansatzweise am eigenen Leib erfahren, was für eine Leistung die Tänzer während der Vorstellung zu erbringen haben. Zugegeben, unsere Version des Tanzes war eine abgespeckte Version. Wie die echten Profis diese Herausforderung meistern, konnten wir uns dann ein paar Stunden später in „Anatevka“ ansehen.

Nach diesem Vorgeschmack hatte sich unsere Freude auf die Vorstellung noch um einiges vervielfacht. Und dann lagen Mittagessen, Ausruhen, Herausputzen und Abendessen auch schon hinter uns und wir mischten uns kurz vor Vorstellungsbeginn unter die Gäste im Zuschauerraum. Durch unser neu gewonnenes Hintergrundwissen nahmen wir das Musical aus einem ganz anderen Blickwinkel wahr, denn der Zauber der Geschehnisse auf der Bühne, wurde durch das Wissen über den dahinterstehenden Aufwand nur noch gesteigert. Bei „Tradition“, das den Abend eröffnete, sangen wir in Gedanken ganz inbrünstig mit. Danach fieberten wir mit, lachten, weinten (zumindest einige von uns) - und waren begeistert. Nach der Aufführung durften wir noch einige SolistInnen und DarstellerInnen des Stücks treffen. Es war interessant, wie international die Besetzung zusammengestellt war. Sie erzählten uns ganz offen von ihrem Werdegang, wie sie zum Singen kamen und von ihren ersten Begegnungen mit Barrie Kosky, oder wie es war, nach Deutschland zu kommen und auch von ihren eigenen Empfindungen beim Spielen und Singen im Musical. Es war schön, an ihnen das zu sehen, was uns vorher schon aufgefallen war: das Verhältnis zwischen allen in der Oper war ganz locker und vertraut, was eine tolle Arbeitsatmosphäre schafft.

Am letzten Morgen, nachdem Koffer unter Ächzen geschlossen und in die Gepäckräume des Hotels gebracht und letzte Absprachen zur Rückreise getroffen wurden, saßen wir erschöpft und voll mit neuen Eindrücken vom vergangenen Abend auf einer der drei Probebühnen der Oper im Stuhlkreis. Aber diesmal mussten wir nicht tanzen oder Stühle durch den Raum tragen, sondern Anisha redete mit uns über das Thema „Tradition“, da darauf in „Anatevka“ ein sehr starker Fokus liegt. Es war für uns alle interessant, dass wir jeder in unserem Umfeld doch irgendwo bestimmte kleine oder große Traditionen haben und diese ausleben. Zum Abschluss beschäftigten wir uns damit, wie es nach dem Ende von „Anatevka“ weitergehen könnte. Was passiert unserer Meinung nach mit den Hauptrollen? In kleinen Gruppen überlegten und diskutierten wir und kamen auf ganz wunderbare, aber auch traurige Ideen, die wir einander dann vorstellten. Da das Musical selbst ein sehr offenes Ende hat, malten sich einige von uns ein Happy End aus, das zu manchen Ideen anderer in starkem Kontrast stand. Wir wissen alle nicht, wie die Geschichte weitergeht, aber jeden von uns beschäftigt das Thema weiter.

Es war erschreckend, wie schnell die drei wunderbaren Tage an der Oper vorüber gingen. Wir haben in diesen drei Tagen die Komische Oper Berlin nicht nur kennengelernt, wir haben sie erleben können. Zumindest ein kleines bisschen. Und dafür müssen wir uns mehr als nur ein kleines bisschen bedanken, bei der Deutsche Bank Stiftung und der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, beim Studienkompass, insbesondere bei Patrick und Monika, bei Anisha, bei der Komischen Oper Berlin und bei allen, die uns gegenüber während dieses Wochenendes so offen und ehrlich waren und uns dadurch einen so intensiven Einblick hinter die Kulissen der Komischen Oper Berlin verschafft haben.

Wir applaudieren!