Guter Rat ist teuer, heißt das Sprichwort. Würde man Theresia und Dagmar fragen, würden sie wahrscheinlich sagen: Guter Rat ist wertvoll – und langjährig. Ein echter Schatz seit fast fünfzehn Jahren!
Da lernten sie sich nämlich kennen, im Spätsommer 2010 im Rahmen des Studienkompass in Würzburg. Theresia hatte noch zwei Jahre bis zum Abitur vor sich, war auf die Möglichkeiten des Studienkompass an ihrer Schule aufmerksam geworden und von einem Lehrer darin bestärkt worden, sich zu bewerben – mit Erfolg. Dagmar war damals als Lehrerin an einem Gymnasium tätig und hatte beschlossen, sich ehrenamtlich als Mentorin für die neue Studienkompass-Gruppe in Würzburg zu engagieren. Junge Menschen zu unterstützen und zu begleiten, das war ihr schon als Beratungslehrerin an ihrer Schule ein Anliegen. Das Engagement passte optimal dazu.
Heute – 15 Jahre später – sitzen sie bei unserem Gespräch nebeneinander und strahlen, wenn sie über ihre ganz besondere Beziehung sprechen. Längst sind aus der Mentorin und der Schülerin Freundinnen geworden. Und Theresia ist vor Kurzem noch etwas geworden: Doktorin der Zahnmedizin. Nur 2 von 100 Nichtakademikerkindern schaffen es bis zur Promotion, bei Akademikerkindern sind es dreimal so viele. Ein Grund, warum der Studienkompass ins Leben gerufen wurde. Theresias und Dagmars Geschichte zeigt, was hinter diesen Zahlen steckt.
Die Würzburger Studienkompass-Gruppe und ihre Mentorinnen und Mentoren wurden schnell eine gute Gemeinschaft. Viele von ihnen stehen bis heute miteinander in Kontakt. Verbindend war das gemeinsame Ziel: Die Jugendlichen wollten herausfinden, wie es nach dem Abitur weitergehen soll. Mentorinnen wie Dagmar sind hier eine große Hilfe, besonders wenn die Jugendlichen zu Hause niemanden haben, der sich mit Studiengängen, Abschlüssen oder Zugangsvoraussetzungen auskennt. Auch Bestärkung ist ein wichtiges Thema. Vielfach sind die Zweifel doch sehr groß, ob ein Studium zu schaffen ist und wie es sich finanziell stemmen lässt. Dagmar erinnert sich gerne daran zurück, wie interessant es war, von den Wünschen der Studienkompass-Teilnehmenden zu erfahren, gemeinsam weiterzudenken und konkrete Pläne zu entwickeln. Heute zu sehen, wohin die Wege geführt haben und welche Entwicklungen die Lebensläufe der Einzelnen genommen haben, ist natürlich mindestens genauso spannend. Auch wenn das intensive Coaching und die vielen Gespräche durchaus anstrengend waren, verließ Dagmar die gemeinsamen Workshops am Wochenende doch vor allem immer glücklich, da sie das Gefühl hatte, die Jugendlichen haben viel Positives mitgenommen und sind wieder ein Stück weitergekommen!
Theresias Wünsche waren schon früh ganz klar. Sie wollte Zahnärztin werden. Für sie waren die Workshops deshalb weniger eine Möglichkeit, ein passendes Studium zu finden, als den Weg zu ihrem Wunschstudium zu planen. Ein Weg, der nicht so geradlinig war, wie der frühe Berufswunsch es vielleicht vermuten ließe. Um die kommenden Hürden zu meistern, konnte sie sich mit Hilfe des Studienkompass in den verschiedenen Veranstaltungen vor allem persönlich weiterentwickeln. Einige der Erkenntnisse prägen sie bis heute, zum Beispiel, dass man häufig Schwächen bei sich sieht, die andere als Stärke auslegen. Selbstzweifel spielen bei vielen Studienkompass-Teilnehmenden eine große Rolle. Mentorinnen wie Dagmar sind in solchen Momenten wichtige Ansprechpartnerinnen – so auch für Theresia, zum Beispiel als klar wurde, dass es aufgrund der hohen Zulassungsbeschränkungen nicht gleich mit einem Studienplatz für Zahnmedizin klappen würde. Gemeinsam sprachen sie auch über mögliche Alternativen. Theresia entschied sich zunächst für eine Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten, die sie als Jahrgangsbeste abschloss und aus der sie für das spätere Studium schon viel mitnehmen konnte. Sie ließ sich auch nicht von Rückschlägen oder unschönen Erfahrungen beirren, wie zum Beispiel von ihrem Lehrer in der Berufsschule, der einmal anmerkte, dass sie ein Studium nicht schaffen würde. Auch das hatte sie durch Coaching und Gespräche gelernt: Glaub an dich und lass dich nicht von anderen kleinmachen. Für das Studium ging es nach der Ausbildung zuerst nach Ungarn, weil es dort einfacher ist, einen Studienplatz zu bekommen. Da die Kosten hier jedoch sehr hoch waren, war schnell klar, dass eine andere Lösung her musste. Nach einem Jahr gelang der Wechsel an die Universität Ulm und Theresia kam ihrem Ziel wieder ein Stück näher.
Theresia arbeitete hart für ihren Traum, hinzu kam auch weiterhin finanzieller Druck, denn Zahnmedizin ist ein kostspieliger Studiengang. Ein Stipendium des Studienförderwerks Klaus Murmann der sdw bot ein bisschen Abhilfe. Stipendien – auch so ein Thema, von dem sie vor dem Studienkompass noch nie gehört hatte. Auch hier sind Nichtakademikerkinder immer noch unterrepräsentiert. Trotz des Stipendiums war es notwendig, in den Ferien zu arbeiten und das alles mit dem vielen Lernstoff unter einen Hut zu bringen. Das Privatleben blieb vielfach auf der Strecke. Heute sagt Theresia, dass sie sich den größten Druck selbst gemacht hat. Sie wollte niemanden - vor allem sich selbst nicht -enttäuschen und gelangte oft an mentale Grenzen. Dann half häufig ein Anruf bei Dagmar, die sie wieder aus ihrem Loch herausholte. „Sie hat eine tolle Gabe, einen mit wenigen Worten wiederaufzubauen“, fasst Theresia diese wichtige Stütze zusammen: „Es braucht oft jemanden, der mal sagt, das wird nicht so schlimm und der vor allem immer wieder die eigenen Stärken aufzeigt!“ Ihr fehlten diese Personen im Studium. Viele ihrer Mitstudierenden hatten schon Zahnärzte in der Familie, die das alles schon mal durchgemacht hatten. Sie gingen viel entspannter an alles heran, hatten ein Fallnetz, das Theresia fehlte. Sie hatte immer das Gefühl 150 Prozent geben zu müssen, wo andere auch mit 100 Prozent oder weniger gut durchkamen. Am Ende gelang ihr alles mit sehr gutem Ergebnis, aber die Leichtigkeit ging so häufig etwas verloren. Die Last fiel erst im Arbeitsleben und nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Promotion von ihr ab, weil jetzt nicht mehr das ständige Gefühl herrscht, man müsse eine Prüfung bestehen.
Für Dagmar war es in diesen Situationen vor allem wichtig, sich in die andere Person hineinzuversetzen und sie zu einer Lösung zu begleiten, die aus ihr selbst kommt. Nur so lässt sich diese dann auch umsetzen. Durch die langjährige Begleitung lernten sich die beiden intensiv kennen und konnten zusammen erkunden, wo diese Angst, das alles nicht zu schaffen, herkommt. Sie konnten Wege finden, wie man damit umgeht. Wenn man sich mag und befreundet ist, wird das natürlich einfacher. Sympathie und Vertrauen sind für Dagmar deswegen die wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Mentoring-Beziehung. Der Altersunterschied spielte gar keine große Rolle. Nur in die Disko hat sie die Studienkompass-Gruppe damals lieber alleine geschickt, erzählt sie lachend. Heute hängen viele Erinnerungen an die Studienkompass-Zeit in ihrem Flur, auch das Abschlussbild von Theresias Gruppe. Ein gemeinsames Foto mit Frau Doktor kommt jetzt noch hinzu. Die große Freude an der Arbeit ist Dagmar deutlich anzumerken. Nachdem sie jetzt pensioniert ist, berät sie Jugendliche weiterhin. Erfolgsbeispiele für ihre Arbeit gibt es allein aus ihrer langjährigen Arbeit für den Studienkompass etliche.
Für beide spielt Mentoring auch beim Thema Chancengerechtigkeit eine große Rolle. Die Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer zu profitieren, Rückhalt und immer eine Anlaufstelle zu haben, um nachzufragen, das ist für Theresia etwas, das alle Jugendlichen haben sollten, deren Eltern nicht studiert haben. Mit Mentoring können Hürden überwunden werden. Einig sind sich auch beide, dass in der Schule mehr Berufsorientierung stattfinden muss und das möglichst früh. Gerade die Förderung von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwächeren Verhältnissen kommt immer noch zu kurz. Hier konnte der Studienkompass bei den Teilnehmenden viel auffangen – auch im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung.
Beide verbindet das Gespür für Ungleichheit und der Wille, hier anzusetzen. Für Theresia war es sehr auffällig, dass sie fast ausschließlich von Professoren unterrichtet wurde, obwohl es in der Zahnmedizin rund 70 Prozent Studienanfängerinnen gibt. Zahnärztinnen verdienen vielfach auch weniger als ihre männlichen Kollegen.
Es gibt beim Thema Chancengerechtigkeit also noch viele Baustellen und Theresia und Dagmar wollen hier einen Beitrag leisten. Dass das am besten gemeinsam geht, haben sie in den letzten 15 Jahren ausgiebig bewiesen.
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